Privatpraxis für Urologie

Evidence Based Medicine

> Privatpraxis Dr. med. Dr. phil. Buntrock <

Medizin wird manchmal auch synonym als Heilkunst bezeichnet. Die richtige Therapie für den richtigen Patienten zur richtigen Zeit ist tatsächlich eine Kunst, denn Krankheitsverläufe können sehr komplex werden. Menschen sind komplex. Im Zusammenspiel von Krankheit, Lebenssituation, persönlichen Erwartungen und nicht zuletzt auch von Erwartungen der Angehörigen muss ärztlicher Rat viele Aspekte berücksichtigen. Heilkunst besteht darin, Dinge einordnen zu können und diese Fähigkeit erwirbt man sich erst im Laufe der Berufsjahre. Aus diesem Grund wird derjenige nicht zum Arzt, der ein medizinisches Lehrbuch oder im Internet über Krankheiten liest. Genauso wenig wie derjenige Jurist ist, der einen Gesetzestext gelesen hat (und meint, ihn verstanden zu haben). Die Bedeutung der Informationen muss man sich durch Erfahrung erst aneignen.

Deshalb ist Medizin auch keine Naturwissenschaft, wie immer wieder behauptet wird. Medizin ist eine Erfahrungswissenschaft, die sich naturwissenschaftlicher Methoden bedient. Und das ist das Problem. Wer sich ausschließlich durch seine Erfahrung leiten lässt, beurteilt die Dinge eher schon mal subjektiv. Die menschliche Psyche ist dabei leider nicht besonders hilfreich und verstellt den nüchternen Blick. So ist man als Arzt beispielsweise eher geneigt, eine sinnvolle Therapie nicht zu empfehlen, wenn man sich an einen Patienten erinnert, bei dem sie nicht gewirkt hat und vielleicht sogar mit Nebenwirkungen verbunden war. Umgekehrt funktioniert das natürlich auch. Häufiger erlebt man Männer in der Sprechstunde, die panische Angst vor einer Gewebsentnahme aus der Prostata haben, weil sie mal jemanden kannten, der jemanden kannte, der nach einer solchen Biopsie auf der Intensivstation behandelt werden musste. Natürlich – so etwas gibt es, aber es ist bei weitem nicht die Regel. Deshalb gibt es Behandlungsleitlinien. Sie bilden eine fachliche Richtschnur, an der sich der Arzt in seinen Empfehlungen ausrichten kann. So bleibt die Objektivität gewahrt, denn Leitlinien sind das Destillat des aktuellen Standes medizinsicher Forschung, basierend auf tausenden und abertausenden Daten. Doch trotz aller Standardisierung: Statistiken haben ihre Grenzen, wenn es um das Einzelschicksal geht und so werden Leitlinien die Erfahrung des Arztes nie ganz ersetzen können.

Klinische Forschung dient dem Zweck Therapien auf den Prüfstand zu stellen und zu verbessern. Die Auswertung geschieht anhand statistischer und epidemiologischer Verfahren. Diese Art der Beweisführung (engl. Evidence = Beweis) ist nicht immer unproblematisch, aber es ermöglicht Erkenntnisgewinn auf sehr hohem Niveau. Evidence Based Medicine oder die Evidenzbasierte Medizin nahm unter diesem Namen in den 1990 Jahren richtig Fahrt auf, auch wenn die ersten Ansätze in diese Richtung schon weitaus früher datieren. Entscheidungen über medizinische Therapien sollen nicht mehr nur der Erfahrung des Einzelnen überlassen sein, sondern auch wissenschaftlich untermauert werden. Neue Therapiemethoden müssen ihre Überlegenheit in klinischer Prüfung unter Beweis stellen. Darum geht es.

Wissenschaftliche Fachartikel zu lesen und zu verstehen, ist schwer. So etwas wie die Wahrheit kann es nie geben. Jede klinische Studie hat ihre Grenzen, wirft neue Frage auf – und hat systematische Fehler, ganz egal, wie gut sie gemacht wurde. Um klinische Studien richtig zu lesen, muss man viel über das Gebiet wissen, Ahnung von systematischen Fehlern (auch engl. bias genannt) haben und am besten über die Kombinationsgabe eines Sherlock Holmes verfügen, um diese Fehler zu finden. Das ist auch für Fachleute kein Zuckerschlecken und so ist verständlich, dass sich die Medien nicht selten schwer tun, komplexe Studienergebnisse differenziert wiederzugeben. Bestes Beispiel ist die Früherkennung des Prostatakrebses. Ausführliches zu dieser Problematik finden Sie hier.

Sie sollten kritisch sein, wenn in Internet, Zeitung oder Fernsehen über neue Forschungsergebnisse berichtet wird; Ich bin es auch. Am besten, man versucht, sich selbst ein Bild zu machen, indem man den Fachaufsatz liest und die inhaltliche Wiedergabe nicht anderen überlässt. Jetzt richtig ins Detail zu gehen, würde den Rahmen dieser Internetseite sprengen. Es gibt aber ein paar grundsätzliche Dinge, die man bei Studien beachten sollte.

Als erstes sollten Sie sich darüber im Klaren sein, um was für eine Studie es sich eigentlich handelt. Geht es beispielsweise um Tierversuche, müssen Sie wissen, dass diese Ergebnisse nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen werden können. Wird etwas an Menschen getestet, durchlaufen diese Studien verschiedene Phasen. Im klinischen Alltag höre ich von Patienten immer wieder den berühmten Satz: „Ich bin doch kein Versuchskaninchen!“ Viele sind bei Studien sehr sensibel, was auch verständlich ist, da Studien häufig nur publik werden, wenn Probanden zu Schaden gekommen sind. Dabei findet der überwiegende Teil klinischer Studien auf einem Niveau statt, bei dem das Risiko für die Teilnehmer sehr niedrig ist. Typisch wäre z.B. eine bereits zugelassene neue Therapie oder ein bereits zugelassenes neues Medikament, dessen Vorteile zu etablierten Therapien man nicht abschätzen kann. Aber Studien sind wichtig für die Qualität der medizinischen Behandlung. Ein Beispiel der jüngeren Vergangenheit wäre die Roboterchirurgie bei Prostatakrebs. Während man in Fachkreisen noch diskutierte, ob das eine Methode der Zukunft sei und wie viele Roboter man wohl auf wie viele Einwohner benötigt, schossen die Dinger plötzlich wie Pilze aus dem Boden. Die Patienten stimmten mit den Füßen ab, so dass immer mehr Kliniken sich gedrängt sahen, in Robotertechnik zu investieren. Trotz hoher Kosten und ohne zu wissen, ob diese Methode in den kritischen Parametern: Radikalität, Kontinenz und Potenz der offenen Operation überlegen war. Klinische Studien mussten her, denn nur so konnte man die Unterschiede zur offenen Operation systematisch erheben.

Klinische Medikamentenstudien durchlaufen vier Phasen. Die Versuchskaninchenphase ist, wenn Sie so wollen, vor allem die Phase 1. Die wird man Ihnen als Patient beim Arzt eher nicht anbieten. Wenn Sie in Bus und Bahn Werbung sehen, bei der junge, gesunde Menschen für die Testung eines neuen Präparates gegen Zahlung eines vierstelligen Betrages gesucht werden, geht es oft um Phase 1. Wie gesagt, es handelt sich um gesunde Freiwillige, bei denen man sehen möchte, wie ein Wirkstoff auf den menschlichen Körper wirkt, welche Nebenwirkungen er hat, wie verträglich er ist. Die medienwirksamen Studienunfälle der letzten Jahre passierten in Phase 1. Erst in Phase 2 nehmen zum ersten Mal kranke Personen teil. Zu diesem Zeitpunkt ist im Großen und Ganzen klar, wie die Verträglichkeit ist und welche Nebenwirkungen auftreten. Doch hilft die Therapie auch? Und in welcher Dosis? Phase 2 bietet beispielsweise eine Chance für Patienten, die am Ende der therapeutischen Möglichkeiten ihrer Erkrankung angelangt sind und für die es sonst keine Behandlung mehr gäbe. Sie stellt immer noch eine Art erweiterte Versuchskaninchenphase dar, in der wichtige Eigenschaften des Medikamentes ans Tageslicht kommen. Die potenzsteigernde Wirkung von Viagra etwa wurde so entdeckt. Ursprünglich als Herzmedikament entwickelt, versagte es in Phase 2. Als die Probanden die Versuchsmedizin wieder zurückgeben sollten, weigerten sich einige, weil sie durch das Mittel potenter geworden waren. Das war der Anfang der Ära der PDE-5 Inhibitoren. An Phase 2-Studien nehmen nur wenige Probanden teil. Ergebnisse dieser Studien kann man u.a. auch deshalb nicht verallgemeinern. Vielversprechende Phase 2-Ergebnisse sollte man als das nehmen, was sie sind: interessant. Keinesfalls ändern sich hierdurch Therapieempfehlungen oder Leitlinien.

In Phase 3 möchte man die Wirksamkeit und die Verträglichkeit nachweisen. Hierfür bedarf es einer genügenden Anzahl Studienteilnehmer, die vorher genau ausgerechnet wird. Nehmen zu wenig Probanden teil, könnte das abschließende Ergebnis auch auf Zufall beruhen. Um den Zufall als Variable auszuschließen, braucht man eine Fallzahlberechnung. Sie sollten beim Lesen daher immer auf die statistische Power achten. Normalerweise steht so etwas im Methodenteil eines Fachartikels. Wissenschaftler streben immer danach, einen statistisch signifikanten Unterschied zu erreichen. Mindestens 5 % muss der betragen. Je nach Fragestellung kann man aber auch andere Ziele wählen. Das kann der Fall sein, wenn ein Unterschied von 5% als Effekt klinisch völlig unbedeutend ist. Dann legt man vorher fest, wie groß der Unterschied zwischen den Ergebnissen zweier Behandlungsmethoden oder Medikamenten sein muss. Hiervon ausgehend berechnet man, wie viele Probanden man benötigt, um diesen Unterschied nachzuweisen. Das ist die statistische Power. Wollen Sie zum Beispiel 100 Personen in die Studie einschließen, machen aber nur 50 mit, haben Sie ein Problem. Auch wenn Sie statistisch signifikante Ergebnisse vorweisen können, ist ihre Studie unterpowered. Die Studienresultate könnten zufällig durch die Zusammensetzung der Teilnehmergruppen entstanden sein. Ihre Daten sind von minderer wissenschaftlicher Qualität und lassen keine sicheren Schlüsse zu. In Phase 3 sind die Risiken für Studienteilnehmer kalkulierbar und meiner Meinung nach überwiegen die Chancen. Alle werden wie auch in den Phasen zuvor sehr sorgfältig kontrolliert und natürlich geht es in dieser Phase auch darum, die Dosis noch besser anzupassen und seltene Nebenwirkungen zu erfassen.

In Phase 4 kommen nur zugelassene Medikamente zum Einsatz. Man will sehen, wie sich ein Präparat quasi im Alltag bewährt. Es geht um die Bestätigung des zuvor gefundenen Risikoprofils und manchmal auch um bestimmte Patientengruppen (z.B. mehrfach Erkrankte, Frauen, Kinder, etc.). Selten kommt es vor, dass Medikamente Jahre nach der Zulassung aufgrund neuer Erkenntnisse vom Markt genommen werden. Vor etlichen Jahren war das mal ein Cholesterinsenker oder wenige Jahre später traf es eine Gruppe neuartiger Schmerzmittel. Solche Dinge findet man heraus, weil es Evidence Based Medicine gibt. Denn ohne klinische Studien hätte der einzelne Arzt kaum genug Patienten, um Risiken systematisch zu entdecken.

Man kann klinische Studien ganz unterschiedlich planen. Die allerbesten Daten erhält man bei einem randomisierten, (plazebo)kontrollierten Design. Das bedeutet, die Probanden werden per Los zufällig auf zwei Gruppen verteilt und die Ergebnisse der beiden Gruppen miteinander verglichen. Bei Medikamenten ist es Standard, dass die Teilnehmer nicht wissen, ob sie den Wirkstoff erhalten. Alle nehmen zwar etwas ein, aber nur bei einer Gruppe enthält die Tablette auch das Medikament. Das nennt man Plazebo. Kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: ich werde gefallen. Vom Plazeboeffekt spricht man, wenn Kranke auf völlig unwirksame Therapien ansprechen und zwar nur deshalb, weil sie ganz fest an deren Wirksamkeit glauben. Diese psychischen Vorgänge sind sogar so empfindlich, dass sie übertragbar sind. Wenn der Arzt weiß, wer das Medikament erhält und wer das Plazebo, kann er dieses Wissen unbewusst auf die Probanden übertragen. Daher gibt es sogenannte Doppelblindversuche, bei denen auch der Arzt nicht weiß, welche Gruppe was erhält.

Weniger aussagekräftige Daten erhält man in retrospektiven Studien. Typischerweise hat man eine Fragestellung und gleicht Verläufe bereits behandelter Patienten damit ab. Solche wissenschaftlichen Untersuchungen nach Aktenlage sind nicht wertlos; aber mit Vorsicht zu genießen, da sich hier allerlei unerwünschte Effekte verbergen können. Man muss die Daten nehmen wie sie sind und kann bestimmte Dinge im Nachhinein einfach nicht mehr beeinflussen.
Es gibt sehr viele unterschiedliche Studiendesigns, die ich hier nicht alle darlegen möchte. Vielleicht schreibe ich ja mal ein Buch darüber. Lassen Sie mich lieber noch etwas zu Risiken sagen. Damit werden Sie bei der Lektüre von Studien allenthalben konfrontiert, denn mit diesen Kennzahlen misst man die Effekte der getesteten Behandlung. Also ganz platt ausgedrückt: wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es klappt? Kennen Sie den Unterschied zwischen absolutem und relativem Risiko (RR)? Absolutes und relatives Risiko werden oft miteinander verwechselt und das führt zu Verwirrung. Grundsätzlich geht es beim relativen Risiko um das zusätzliche Risiko, wenn ein bestimmter Faktor hinzukommt. Ein klassisches Beispiel wäre das Rauchen. Um das Beispiel anschaulicher zu machen, denke ich mir jetzt ein paar Zahlen aus. Angenommen, das Risiko, Blasenkrebs zu bekommen läge für Nichtraucher bei 2 %. Das bedeutet, zwei von hundert Nichtrauchern werden irgendwann in ihrem Leben einmal Blasenkrebs bekommen. Das absolute Risiko für Nichtraucher ist also zwei Prozent. Wir wissen alle, dass Rauchen ziemlich schädlich für die Gesundheit ist (steht ja auf jeder Packung drauf). Raucher haben also ein erhöhtes Risiko für Blasenkrebs. Doch um wieviel? Darüber gibt das relative Risiko Auskunft. Wiederum angenommen, das relative Risiko für Blasenkrebs läge für Raucher bei 50 %. Wie viele Raucher von 100 werden krank? Die Antwort lautet: 3! Zwei von hundert Nichtrauchern erkranken und Rauchen erhöht dieses Risiko um 50 %. Fünfzig Prozent von zwei macht eins und zwei plus eins macht drei. Wenn Sie jetzt auf 50 als richtige Antwort getippt hätten, wären Sie wieder beim absoluten Risiko gelandet. Es ging aber um das relative Risiko. Denken Sie deshalb bei relativen Risiken immer auch an das absolute Risiko. Wenn das absolute Risiko, an einer seltenen Krankheit zu erkranken eins zu einer Million beträgt und eine bestimmte Verhaltensweise dieses Risiko verdreifacht, dann sind drei Erkrankte von einer Million in der Praxis nicht besonders relevant. Das gilt auch für Therapien. Angenommen, eine Therapie hilft in einem von zehn Fällen. Das ist immer noch besser als nichts, aber trotzdem nicht besonders gut. Jetzt kommt eine neue Therapie auf den Markt und in der klinischen Studie wird Ihnen ein relatives Risiko von 2,5 präsentiert. Das ist statistisch ziemlich aufregend, weil es wahrscheinlich einen rechnerisch signifikanten Behandlungsfortschritt bedeutet. In der Praxis reden wir aber über eine 40 %ige Verbesserung, sprich: statt in einem, hilft die neue Therapie nun in 1,4 Fällen. Eine Behandlungsrevolution sieht aus Patientensicht sicherlich anders aus.

Je nach Fragestellung und Studientyp gibt es noch andere Möglichkeiten, Risiken zu beschreiben. Man kann die Zeit mit einbeziehen und sogenannte Hazard ratios bestimmen oder Quoten berechnen und zueinander in Beziehung setzen, sogenannte Odds ratios. Die Risikokennzahlen sind zwar miteinander verwandt, aber nicht untereinander austauschbar.

Wenn es um Tests geht, sollten Sie die Begriffe Sensitivität, Spezifität und deren Verhältnis zueinander kennen. Alle Tests verfügen über diese Kennzahlen, ob es nun um den PSA-Test oder um Brustkrebs-Früherkennung geht. Um beim PSA zu bleiben: wenn man diesen Test macht, möchte man wissen, ob man auch wirklich krank ist. Das ist die Sensitivität. Kann der Test zuverlässig alle Kranken aufspüren? Oder gibt es Kranke, die vom Test gar nicht als krank erkannt werden? Eines kann ich hier schon mal vorwegnehmen. Hundert Prozent Sensitivität habe ich noch bei keinem Test gesehen. Es gibt immer Ergebnisse, die durchs Raster rutschen. Neben der Sensitivität gibt es noch die Spezifität. Sie möchten doch wissen, ob Sie auch wirklich gesund sind, wenn der Test negativ ausfällt. Vor allem möchten Sie als Gesunder auch negativ getestet werden und nicht etwa positiv. Doch auch die Spezifität gibt Ihnen dafür leider keine Garantie. Es ist wie verhext: je sensitiver ein Test, desto unspezifischer ist er. Exzellente Spezifität geht zu Lasten der Sensitivität und umgekehrt. Fazit: es gibt keine hundertprozentigen Tests! Falsch positive und falsch negative Ergebnisse gehören in einem sehr überschaubaren Rahmen immer dazu. Bleiben wir beim Prostata Spezifischen Antigen (PSA). Dieser Blutwert soll einen Hinweis auf Prostatakrebs im Frühstadium liefern. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Prostatakrebs praktisch bei jedem PSA-Wert vorkommen kann. Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit ab einem gewissen Wert stark an. Vor allem im sehr niedrigen Bereich findet man häufig Zellentartungen, von denen viele dem Körper niemals gefährlich werden. Die will man also tunlichst nicht aufspüren. Andererseits hat der PSA-Wert schon eine deutliche Aussagekraft. Am liebsten möchte man Prostatakrebs bei einem PSA von weniger als 10 µg/l finden. Je höher das PSA, desto höher das Risiko für eine Streuung des Krebses. Gleichzeitig erschwert das altersbedingte Wachstum der Prostata die Diagnostik, denn eine vergrößerte Prostata trägt ihrerseits zu PSA-Erhöhungen bei, ohne dass dies etwas mit Krebs zu tun hätte. In diesem Spektrum bewegt sich der PSA-Test. Der untere Grenzwert ist das Ergebnis eines Risikomanagements: so niedrig, dass man eine gute Chance hat, Krebs rechtzeitig genug aufzuspüren, aber hoch genug, um die „ungefährlichen“ Krebse möglichst nicht zu finden. Lassen Sie uns ein grotesk überzogenes Beispiel wählen. Sagen wir, der Grenzwert für PSA läge bei 1.000 µg/l. Das macht in der Realität natürlich keinen Sinn, weil wir bei einem solchen Wert nicht mehr von Früherkennung sprechen. Lassen Sie uns für Demonstrationszwecke aber dabei bleiben. Bei einem PSA von 1.000 µg/l und schon weit darunter liegt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Prostatakrebs vor. Aber erst ab 1.000 µg/l erkennt der Test jemanden als krank. Ein solcher Grenzwert ist folglich überhaupt nicht sensitiv, da praktisch kein Kranker herausgefischt wird. Die Sensitivität des PSA-Tests wäre unter diesen Bedingungen null. Legen wir die Messlatte tiefer, steigt auch die Sensitivität. Bei einem PSA von sagen wir 10 mg/l fliegen bedeutend weniger Kranke unter dem Radar als bei 1.000 µg/l. Lange Zeit war 4,0 µg/l der Standard beim PSA-Test. Für diese Untergrenze beträgt die Sensitivität 21%. Senken wir den Grenzwert noch tiefer, steigt die Sensitivität weiter an. Bei 3,0 µg/l sind es schon 32%. Ist ja toll, werden Sie jetzt sagen – dann senken wir den Grenzwert auf 0,5 µg/l und schon haben wir eine Sensitivität von über 90%. Stimmt. Macht man aber trotzdem nicht. Und das liegt maßgeblich daran, dass man in diesen niedrigen Bereichen sehr viele unnötige Diagnosen stellen würde. Ab einem gewissen Alter verfügt nämlich ein Großteil der Männer über vereinzelte Krebszellen in der Prostata. Nur für einen Teil dieser Männer wird sich daraus eine lebensbedrohliche Krebserkrankung entwickeln. Je weiter man den Grenzwert absenkt, desto größer wird die Gefahr für Überbehandlung.

Denken Sie aber auch an die Spezifität, die wir bislang in unserer Betrachtung außen vor gelassen haben. Wie oben dargelegt, verhält die sich genau entgegengesetzt. Wenn die Sensitivität steigt, fällt die Spezifität. Die Spezifität erkennt die Gesunden, die Sensitivität die Kranken. Während wir bei der Sensitivität in unserem Beispiel alle Männer mit 1.000 µg/l und mehr betrachtet haben, geht es bei der Spezifität um alle, die Werte unter 1.000 µg/l haben. Oder anders ausgedrückt: bei der Sensitivität betrachten wir die Testpositiven und bei der Spezifität die Testnegativen. Zurück zu unserem Beispiel: unterhalb 1.000 µg/l ist man testnegativ. Dieser Wert ist so hoch gewählt, dass alle Gesunden erfasst werden, denn wir gehen davon aus, dass oberhalb von 1.000 µg/l nur Kranke sind. Die Spezifität beträgt 100%! Je weiter wir jetzt den Grenzwert absenken, desto höher wird die Gefahr, Gesunde zu „übersehen“. Im Bereich bis 10 µg/l besteht eine Grauzone. Es gibt Kranke, aber auch Gesunde. Senken wir den Grenzwert auf 4,0 µg/l, wird es viele Gesunde geben, die auf einmal testpositiv sind. Die Spezifität wird immer geringer, je niedriger wir den PSA-Grenzwert wählen, weil es immer mehr Männer fälschlicherweise als krank erkannt werden. Bei 4,0 µg/l beträgt sie 91%. Bleiben wir bei obigem Beispiel und senken noch weiter ab auf 3,0 µg/l, sinkt sie auf 85 %.

Weitere Kennzahlen, Studiendesigns und statistische Methoden gibt es zuhauf. Sie dienen der Evidenzgewinnung und wollen kritisch hinterfragt sein. In der Praxis geschieht das auch. Will man etwas in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlichen, prüft der zuständige Redakteur zunächst das Manuskript grob auf Form und Inhalt, bevor er es entweder ablehnt oder ins Peer Review weiterleitet. Die Peers sind in der Regel wissenschaftlich tätige Kollegen; Experten auf ihrem Gebiet. Sie erhalten den Fachaufsatz zur Überprüfung. Die Autoren des Aufsatzes bleiben anonym und auch im Gegenzug erfahren die Forscher nicht, wer ihre Arbeit begutachtet hat. Die Peers kommentieren die Methoden, die Resultate und inwieweit der aktuelle Forschungsstand berücksichtigt wurde. Selten wird ein Artikel ohne vorherige Umarbeitung gedruckt. Erst, wenn er diese Qualitätskontrolle durchlaufen hat, wird er zu Evidenz. Hierin besteht auch der Unterschied zu Forschungsergebnissen, die man auf Kongressen präsentiert. Bevor sie nicht das Peer Review durchlaufen haben, kann man sie nicht zur Evidenz zählen.

Evidenz gegeneinander abzuwägen ist sehr wichtig, aber auch schwierig. Um Leitlinien zu erstellen, ist diese Arbeit unabdingbar. Leitlinienkommissionen vergleichen Studien mit variierenden Fragestellungen, unterschiedlichen Probanden, wechselndem Design und voneinander abweichenden Methoden. Manchmal sind sich Studien in allen Punkten sogar sehr ähnlich – bis auf die Ergebnisse. Sich damit auseinanderzusetzen und in Behandlungsempfehlungen umzusetzen, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Das Ergebnis sind ein Empfehlungsgrad und die Beurteilung der Datenlage (Level of Evidence). Empfehlungsgrad A und Level of Evidence 1a bilden zusammen das höchste Prädikat.

Bei meiner Arbeit ziehe ich verschiedene Leitlinien zu Rate. Gerne bediene ich mich denen der European Association of Urology (EAU). Es gibt sie für viele Erkrankungen und ich empfinde es als großen Vorteil, dass man sie jährlich aktualisiert. Wichtig ist dies in Gebieten, in denen viel passiert, wie zum Beispiel beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom.

KONTAKTDATEN


Privatpraxis für Urologie & Sexualmedizin

Dr. med. Dr. phil. Stefan Buntrock 

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In der Worth 16
37077 Göttingen

PRAXISAUSSTATTUNG


  • modernstes Ultraschallgerät der Firma BK Medical mit Farbduplex und Elastographie
  • ESWT-Gerät Dornier Aries II der neuesten Generation für die Behandlung von Potenzstörungen
  • Neues Video-Zystoskopiegerät der Firma Olympus für die Blasenspiegelung
  • Uroflow-Messgerät
  • eigenes urologisches Labor
  • die Praxisräume sind barrierefrei zugänglich, rollstuhlgerecht und verfügen über eine Behindertentoilette

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© 2020 Dr. Dr. Stefan Buntrock | Privatpraxis für Urologie & Sexualmedizin in Göttingen